architekturbüro  schlamp

KOOPERATIONSEINRICHTUNG

MÜNCHEN KORBINIANPLATZ

Ein offenes Haus mit hoher Integrationskraft - das ist in mehrfacher Hinsicht die »Kooperationseinrichtung« am Korbinianplatz. Hier werden Kinder zweier Altersgruppen und sehr verschiedener Herkunft in einer bunten "Kiste« betreut, die beachtliche soziale und architektonische Werte aufweist. Das Haus wurde 2001 fertiggestellt und steht in Milbertshofen. Dieser Stadtteil im Münchner Norden ist traditionell durch eine Mischung aus Gewerbebetrieben, bürgerlichen Wohnvierteln und dichter Bebauung der Industriearbeiterquartiere geprägt. In der unmittelbaren Umgebung des Neubaus findet man neben fünfgeschossigem, schlichten Wohnungsbau aus den Sechzigerjahren neu gebaute Eigentumswohnungen. Ein Haus für Kinder in einem Stadtquartier mit großen sozialen Unterschieden übernimmt eine entsprechende Integrationsaufgabe.

 

Aufgrund des ungedeckten Bedarfs an Kinderbetreuungsplätzen in Milbertshofen musste die Stadtverwaltung schnell handeln. Dabei war es schwierig. ein verfügbares Grundstück für die Ansiedlung vorschulischer Infrastruktur zu finden. Der westliche Teil des Korbinianplatzes war in den Dreißigerjahren als Schenkung in den Besitz der Stadt München gekommen. Ihn widmeten die Stadtplaner schließlich zur Baufläche für eine soziale Einrichtung um. Dabei legte die Stadt Wert darauf, den bisherigen Charakter einer innerstädtischen Grünanlage zu wahren.

 

Für den knapp bemessenen Bauraum entwickelte der Ingolstädter Architekt Alfons Schlamp ein kompaktes und flächensparendes Atriumhaus. Auf zwei Geschossen schuf er mit streng strukturierten Grundrissen Platz für zwei Kindergartengruppen zu je 25 Kindern und zwei Kinderkrippengruppen mit je 12 Kindern . Zum Ausgleich für die verlorene Grünfläche wurde das Flachdach extensiv begrünt. Kompakt und ähnlich ökonomisch geplant wie die Umgebung steht das Haus gleichwohl spielerisch und leicht als neue Raumkante am Korbinianplatz . Wie eine große Kommode fügt es sich dort ganz selbstverständlich ein. Kräftige, reine Farben, Transparenz und die zwanglose Anordnung der Fenster heitern auch an trüben Tagen die nüchterne Nachbarschaft auf. Die Eingangsfassade lebt aus der Spannung von Offenheit und Geschlossenheit: Das über zwei Geschosse verglaste Atrium, die Glasschlitze zwischen den Holzlamellen und die rote Seitenwand des Windfangs laden Kinder und Eltern ein. Die übrige großflächig beplankte Fassade steht für die Introvertiertheit des Hauses, das die Kinder bergen und schützen soll.

 

Betritt man durch den würfelförmigen Windfang das Gebäude, steht man überrascht in einer großzügigen Halle. die sich als das Herz des ganzen Hauses erweist: das Atrium. In der antiken Bautradition war das Atrium der offene Hauptraum des altrömischen Hauses und diente der Beleuchtung und Erschließung der umliegenden Räume. Und auch im Raumkonzept dieses Hauses für Kinder spielt das Atrium eine essenzielle Rolle als Eingangshalle, um die sich alle Räume gruppieren. Die von der Decke abgehängte und frei in den Raum eingestellte Holztreppe und der großzügige Luftraum verbinden Erd- und Obergeschoss funktional. Zugleich schaffen sie den engen atmosphärischen Zusammenhang der beiden Ebenen. Wer von einem Raum zum anderen geht. Durchquert das Atrium, das so zu einem zusätzlichen Bewegungs- und Kommunikationsraum wird - und das nicht nur für die Großen: Auch die Kleinsten suchen an den vertikalen Holzlamellen des Treppengeländers Halt für ihre ersten Gehversuche.

 

Auch im Inneren geht das Spiel von offen und geschlossen weiter, unterstrichen durch die Lichtführung. Die Gruppenräume erhalten von zwei Seiten licht durch einzelne Fenster in ruhigen Wandflächen. und der Charakter der Gruppen räume ist sehr konzentriert. Die Fenstertüre als direkter Zugang zum westlich gelegenen Garten. Glasschlitze in den Türen sowie eine große Glasfläche zum Atrium machen jedoch auch klar, dass die Gruppenräume nach allen Seiten Kontakt suchen. Die Kinder halten sich nicht nur in ihren Gruppenräumen auf, sondern sind im ganzen Haus unterwegs. Da auch die Nebenräume wie Küche. Hauswirtschaftsraum und Büro gleichwertig in den Grundriss integriert sind, verläuft der Alltag für die Kinder ähnlich wie in der Familie. Das Atrium integriert alle: Kinder, Erzieherinnen, Hauswirtschafterinnen und Eltern. Es erleichtert die Kommunikation zwischen dem Personal und mischt die Kinder aus den Krippen- und den Kindergartengruppen miteinander.

 

Die Optimierung der Konstruktion hinsichtlich kurzer Bauzeit, geringer Lärmbelästigung und niedriger Kosten führte zu einer vorgefertigten Holzbauweise: Auf die teilweise Unterkellerung und die Fundamente stellte der Architekt eine hölzerne Tragstruktur. Vorgefertigte Wandteile mit bereits eingebauten Fenstern wurden eingesetzt und anschließend mit baubiologisch empfohlenen, zementgebundenen Holzspanplatten von außen beplankt. Im Inneren zeugen die naturbelassenen hölzernen Sparren und Deckenträger von der Bauweise; im Bereich des Atriums übernehmen Stahlstützen die tragende Funktion. Wie auch auf der Fassade setzen kräftige Farben im Innenraum Akzente : Im Atrium sind die Türen der Gruppenräume und die Wand des Mehrzweckraums farbig gestrichen.

 

Der alte Baumbestand im Garten blieb soweit wie möglich erhalten. Auf einen runden. moosüberwucherten Sockel stellte die Künstlerin Susanne Nietmann fünf Granitsäulen in Form eines kleinen Amphitheaters zwischen die Bäume: eine Einladung zum Theaterspielen und Geschichtenerzählen . Drei Frösche sitzen auf den Säulen. wie nach einer Theatervorführung vergessen. Der Ort gleicht einem Relikt aus einer anderen Epoche, als habe das poetische Arrangement die Bauphase durch glückliche Umstände unbeschadet überstanden. Den Kindern gibt der Märchenwald« im Garten einen Kristallisationspunkt. der wie das Atrium im Inneren des Hauses

zur Begegnung einlädt.

 

 

Text: Barbara Wohn

für das Baureferat der Landeshauptstadt München

für die Broschüre

"Kindergarten und Krippe am Korbinianplatz" vom April 2002